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Ellen Schwartz

Eine immer wiederkehrende Geschichte

Abgedruckt u.a. in: Fragen und Versuche 39, März 1987, S. 38-44, und päd.extra & demokratische erziehung 7/8, 1990, S. 43-45.
Aus dem Amerikanischen übertragen von Thomas Fleissner-Brieske.
© Ellen Schwartz 1985; für die Übersetzung: Thomas Fleissner-Brieske 1986.


Es begann am ersten Tag des neuen Schuljahres in der ersten Klasse, als Carla eine Schmetterlingspuppe mitbrachte, deren Metamorphose wir alle ganz hingerissen verfolgten. Das Thema Metamorphose gewann zunehmend eine neue Dimension, als die Kinder immer mehr und andere Larven - z.B. Maden und Apfelwürmer - fanden und sie mit in die Schule brachten, um dort zu beobachten, was sich daraus entwickeln würde. Viele blieben so, wie sie waren, aber es interessierte die Kinder, herauszufinden, in was sie sich entwickelt hätten, wenn sie es geschafft hätten. Einige der Kokons, die in unserem Klassenzimmer gesponnen wurden, behielten wir das ganze Jahr über, da wir dachten, sie müssten vielleicht überwintern und würden dann im Frühjahr ausschlüpfen. (Sie haben es nicht getan.)

Für die verschiedenen Kinder waren unterschiedliche Dinge interessant. Einige Kinder fesselte die Vorstellung, dass Insekten, die wir alle kennen - z.B. Schmetterlinge, Fliegen und Motten -, aus diesen wurmartigen Dingern werden würden. Fast jeder wollte wissen, wie es geschieht, woher die Larve "weiß", wie aus ihr einmal ein Schmetterling odereine Motte wird. Eng verbunden damit war das Bedürfnis, diesen Prozess auch passieren zu sehen. Dies konnten wir natürlich nicht tun, ohne die Tiere zu töten. Dann wiederum, auch von sehr früh an, gab es Kinder, die am Muster, am System, das dahintersteckt (ich sollte besser sagen, den Mustern) interessiert waren.

Muster (oder Modelle) waren ein anderes Thema, das uns das ganze Schuljahr hindurch nicht losgelassen hat. Zu Beginn des Jahres begann ich, den Kindern alte Märchen und Geschichten - hauptsächlich Indiandermärchen und Geschichten aus dem alten Afrika - zu erzählen und vorzulesen. Ich erzählte den Kindern von Märchen und deren mündlicher Überlieferung, davon, wie die Geschichten von Generation zu Generation wandern und sie von jeder Person in der ihr eigenen Weise gestaltet werden. Als ich den Kindern dann eine Geschichte vorlas, es mag "Who's in a Rabbit's House" gewesen sein, rief Jason laut: "Ich hab's! Das ist eine immer wiederkehrende Geschichte!!" Das war eine sehr eindrucksvolle Aussage, deren Kraft in der Leistung lag, (mindestens) zwei Ideen miteinander zu verbinden - zum einen kehrte die Geschichte durch die Tradition des wiederholten Erzählens immer wieder, zum anderen enthielt die Geschichte ein Element, dass sich wiederholte und wiederholte, also ein Erzählmuster. Der Begriff gefiel den Kindern, und das Jahr über hatten sie Spaß daran, bei jedem Thema schon den flüchtigen Anschein dieses Erzählmusters zu finden: "Oh, das ist eine immer wiederkehrende Geschichte!"

Aber zurück zu den Schmetterlingen ... Die Kinder fanden verschiedene Raupen und Larven. Eines Tages bat ich die Kinder, als Hausaufgabe ein Insekt, oder etwas, von dem sie dachten, dass es ein Insekt sei, mitzubringen. Also - am nächsten Tag hatten wir Grillen und Grashüpfer, Fliegen (zusammen mit einem Klebestreifen voll Fliegenleim), Ameisen und Tausendfüßler, sowie eine faszinierende Kollektion verschiedener Grashüpfer, Heuschrecken und einer Spinne in einem Marmeladenglas. Im Laufe des Vormittags bekam die Spinne Hunger, und mit einer Mischung aus Faszination und Angst beobachteten die Kinder, wie die Spinne die anderen Tiere in dem Glas auffraß. (Schließlich beschlossen alle, die restlichen Tiere freizulassen, da sie den Anblick nicht mehr ertragen konnten.) Diese Hausaufgabe und die daraus folgende Diskussion brachte die Frage auf, was ein Insekt eigentlich sei und woran man es erkennen könne. Daraus wurde ein selbständiges Projekt

Etwa um dieselbe Zeit begannen die Kinder, Teile von Bienennestern mitzubringen. Mit Pinzetten nahmen sie die Bienen in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung heraus, um sie dann mit einer Lupe zu untersuchen. Wir hatten einige Bücher über Bienen, und das Muster des Lebenszyklus war bekannt. Dieses Muster trug einen Teil zum Verständnis der Gemeinsamkeiten verschiedener Insekten bei. Ich erwähne dies auch, weil hier unser Satz von der "immer wiederkehrenden Geschichte" in einem anderen Kontext wieder auftauchte. Manche Kinder unterhielten sich über das Leben der Insekten in Form einer immer wiederkehrenden Geschichte, wieder mit mehreren Dimensionen. Zum einen war da die Dimension des Zyklus selbst, der sich immer wiederholt — Ei, Larve, Puppe, ausgewachsenes Insekt, Ei ... — woraus natürlich die Frage entstand, wo denn das erste herkam. Zum zweiten war da das immer wiederkehrende Lebensmuster bei unterschiedlichen Insekten - Variationen über ein Thema...

Eine andere Sache, für die sich manche Kinder interessierten, waren die Illustrationen der Waben in unseren Bienenbüchern. Sie waren als Sechseck gezeichnet. Die Kinder, die daran interessiert waren, störte dies, da unser richtiges Nest gar nicht aussah, als sei es aus Sechsecken aufgebaut. Unsere Waben sahen eher aus wie grobe, unebene Kreise. Dies führte zu Fragen, zu Unzufriedenheit: "Warum sieht es nicht so aus wie auf den Bildern im Buch?" Woher sollen wir wissen, ob es wirklich Sechsecke sind?" (Erst später ist mir eingefallen, wie interessant es hätte werden können, wenn ich den Kindern die Aufgabegestellt hätte, einen Kreis mit Mosaiksteinen auszulegen.) Die Frage konnte nicht beantwortet werden, ließ uns aber nie los. An einer anderen Stelle und viel später sollte sie auf interessante Weise wiederauftauchen.

Zu diesem Zeitpunkt, in der Aufregung von ständig neu eintreffenden Teilnestern, brachte Katherina ein völlig intaktes Nest mit allem "Drum und Dran" mit. Es war sogar noch an dem Ast, an dem es auch in der Natur gehangen hatte. Dieses Nest nahmen wir nicht auseinander, da die meisten Kinder, Katharina ganz besonders (und ich auch, möchte ich hinzufügen) es nicht wollten. Wir hingen es nah am Fenster auf, und die wirbelnden Muster, die man an der Oberfläche sehen konnte, wenn man ganz nah heranging, irisierten ein wenig im Licht. Dann war da natürlich die Form selber. Als Ganzes, nicht in Teilen, schien es uns gerade richtig zu sein.

Es wurde langsam Winter, und je mehr der Herbst uns verließ, desto interessanter wurden Kristalle, besonders für einige Mädchen. Roberta brachte einige Kristalle mit, die sie von Verwandten geschenkt bekommen hatte, und kündigte an, dass sie ein Kristallmuseum aufbauen wolle. Sie kümmerte sich um Beiträge der anderen Kinder, und verschiedene "Kristalle" trafen im Klassenzimmer ein. Wir ließen Zucker- und Alaunkristalle wachsen und betrachteten sie unter dem Mikroskop. Wie bei den Insekten trat auch hier die Frage auf, was ein Kristall ist und wie es wächst.

Die Gemeinsamkeiten, die wir an verschiedenen Kristallen beobachten konnten, waren das, was die Kinder "Form" nannten. Manche der "Formen" waren uns aus der Geometrie bekannt, sie waren den Formen ähnlich, die die Kinder mit ihren Mustersteinen gemacht hatten.

Als Roberta eines Tages etwas über Kristalle las, fand sie Bilder von Schneekristallen. Darunter war eines, von dem sie dachte, sie könne es mit ihren Mustersteinen nachbauen. Sie schaffte es, recht nahe ans Original heranzukommen. (Die richtigen Formen hatten wir da, nur die Verhältnisse zueinander passten nicht.)

Im Kreis zeigte sie ihr Modell der Klasse und auch das Foto des Schneekristalls, das sie zu kopieren versucht hatte. Es begann eine große Diskussion über die Formen, die die Kinder in dem Modell sahen, und einige waren der Meinung, dass, würde Roberta "es ausbauen" (womit gemeint war, die Zwischenräume auszufüllen, bis ein Vieleck erreicht wäre), dann wäre es ein Sechseck. Fritz und einige seiner Freunde gingen an die Arbeit. Fritz setzte die Arbeit an diesem Problem fort, seine Freunde fanden mehr Interesse daran, ihre eigenen Sechsecke zu basteln. Als er fertig war, entdeckte Fritz zu seiner Überraschung, dass er ein 12-seitiges Vieleck hergestellt hatte. Als er dies der Klasse zeigte, fiel Patrick auf, dass 12 das Doppelte von 6 ist ("Doppelt" war ein Konzept, das ich gerade bei den Kindern eingeführt hatte, die intensiver rechnen lernten).

Mittlerweile zeigten Fritz' Freunde, die ja ihre eigenen Sechseckegebastelt hatten, ihre Ergebnisse im Kreis. Die Kinder nahmen den Fingerzeig von Patrick auf und betrachteten die Sechsecke (und, möchte ich anfügen, in endlosen Variationen, die das ganze Schuljahr hindurch nicht aufhörten) unter Zahlengesichtspunkten. Dabei achteten sie nicht nur auf die Anzahl der Seiten und Ecken, sondern versuchten auch, herauszufinden, wie viele verschiedene Formen sie innerhalb des Vielecksentdecken konnten. Für viele war interessant, dass die Zahlen 3, 6 und 12 immer wiederkehrten, und sie erkannten die Verwandtschaft im Hinblick auf das "Doppelte". Natürlich kamen auch andere Zahlen vor, insbesondere die 1 und 2. Dies war für die Kinder wieder interessant, und für viele war es eben nur das: interessant.

Aber für einige, die sich mehr für Zahlen interessierten, war es irritierend, es passte nicht. Es schien so, dass die 1 und 2 nicht ein Teil des 3, 6, 12 ... Musters sein konnten. Mit diesen Kindern arbeitete ich einige Zeit an den Teilungsfaktoren der 12. Die Kinder kamen nicht zu einem präzisen Verständnis des Verhältnisses von Teilungsfaktor und Muster, aber sie begannen, Gemeinsamkeiten zu sehen.

Ich möchte hier anfügen, dass einige Kinder die Modelle nur wegen ihres ästhetisch schönen Anblicks herstellten und den Zahlenaspekt außer acht ließen. Nichtsdestotrotz waren ihre Muster natürlich herrliches Material, mit dem die Zahlengruppen arbeiten konnten. Außerdem waren die Muster so reizvoll, weil sie wirklich schön anzusehen waren. Und obwohl jedes einzelne Muster dann fertig war, wenn das Kind es beschloss, barg es in sich auch die Möglichkeit, immer weiter zumachen - die Unendlichkeit.

Sechsecke waren nun das beherrschende Thema. Eines Tages fragte eines der Kinder, ob wir nicht Katharinas Nest öffnen könnten. Sie entschied, dass es nun O.K. sei; und in der Tat war sie mit am aktivsten an der Arbeit beteiligt. Wir waren alle gebannt von dem, was wir im Inneren fanden. Es waren verschiedene Lagen, die von der kleinsten bis zur größten übereinander angeordnet waren, und alle bestanden aus den gleichen Zellen, die wir im Herbst in den Nestteilen untersucht hatten. Nun kamen wir zurück zu der Frage, warum die Waben nicht wie die Sechsecke im Buch aussahen, und ob sie denn wirklich sechseckig seien. Aber der Reichtum der Assoziationen, die sich nun mit dem Wort "Sechseck" verbanden, hatte sich für uns, die Beobachter, geändert, seit wir zuletzt über diese Frage nachgedacht hatten.

Am nächsten Tag forderte ich die Klasse heraus: Konnte man ein Sechseck legen und dabei nur sechseckige Blöcke benutzen? Fritz und Patrick nahmen die Herausforderung an und strengten sich gewaltig an. Schließlich entschieden sie, dass sie anders geformte Blöcke benutzen mussten, und zwar Rauten. Sie bastelten ein großes Sechseck, mit nur sechseckigen Bausteinen in der Mitte und Rauten am Rand, "um es auszugleichen". Sie zeigten dies der Klasse, und in der folgenden Diskussion nahmen wir die Rauten heraus, um zu sehen, wie nahe die Form dem Sechseck wäre, nur mit sechseckigen Steinen. Die Kinder sahen ein ungefähres Sechseck mit gezackten Ecken ... nicht unähnlich den Schichten in Katherinas Bienennest.

Im Frühling machten die 7. und 8. Klassen eine Ausstellung mit selbsthergestelltem "Islamischem Design" in der Aula. Meine Klasse war ganz hingerissen, da die Grafiken so schön waren. Manche Kindermeinten, dass die Muster sie an einige unserer eigenen erinnerten. Ich lud zwei der Schüler, die an der Ausstellung beteiligt waren, in unsere Klasse ein, damit sie etwas über ihre Muster und den Islam erzählen konnten. Sie demonstrierten, wie sie die Muster mit Zirkeln herstellten, und natürlich wollte dies jedes von meinen Kindern auch einmal versuchen. Zum größten Teil langte es bei meinen Kindern aber nicht zu mehr als einem Herumspielen mit dem Zirkel.

Eines der Dinge, das die älteren Kinder demonstriert hatten, war, wie sie den Radius des Kreises benutzten, um Bögen am Kreisumfang zu markieren. Die dabei entstandenen Punkte verbanden sie mit dem Lineal, um schöne Muster herzustellen. Keines meiner Kinder nahm diesen Ansatz auf (was nicht verwunderlich ist, da dies ihre erste Begegnung mit einem Zirkel war), aber ich spielte ein wenig damit herum. Die Kinder waren fasziniert davon, Muster entstehen zu sehen, als ich die Punkte miteinander verband, und wieder einmal entdeckten wir nach einer Weile unseren alten Freund, das Sechseck. Einige Kinder begannen nun, mit ähnlichen Ideen herumzuspielen, aber die Arbeit mit dem Zirkel war natürlich erst am Anfang. Zusätzlich war es für fast alle doch sehr frustrierend, da der Umgang mit dem Zirkel schwer war, und noch schwerer war es, die Muster herauszuarbeiten.

Zu dieser Geschichte gibt es keinen Schluss - nur das Schuljahr war zu Ende, und wir mussten die Arbeit beenden. Was ich über die Geschichte sagen möchte, hat ein wenig mit Wissenschaft zu tun und eine Menge mit Zeit. Ich hatte nie vor, eine "Einheit über Sechsecke" (was es auch nicht war) zu machen, geschweige denn, Kristalle und Bienen aufeinander zu beziehen. Es war keine intendierte Mathematik- oder Sachkunde-Einheit, obwohl beide Aspekte eine entscheidende Rolle spielten. Die Kinder eigneten sich einige Informationen über Insekten und Kristalle an, aber dies war nur die eine Dimension naturwissenschaftlichen Denkens. Die andere Dimension kam herein mit Fragen wie: Wieso ist ein Insekt ein Insekt? Warum sieht es so aus und nicht anders? oder: Woran erkennt man, dass das ein Kristall ist? Auf dieser Ebene haben die Kinder begonnen, zu verstehen, wie sie nicht nur zu Antworten, sondern auch zu einer Generalisierung von Problemen gelangen können. Noch eine weitere Dimension kam herein mit den Begriffen "immer wiederkehrende Geschichte" und "Sechseck". Es ist für mich persönlich nicht von Belang, ob die Kinder ein Insekt oder ein Kristall definieren, oder ob sie die Bedeutsamkeit der Sechseck-Form verbalisieren können. Es ist für mich jedoch von größter Wichtigkeit, dass die Kinder die Gelegenheit und den Mut haben, zu einem späteren Zeitpunkt zu diesen Problemen zurückzukehren, denn dieses eine Jahr hat mir gezeigt, dass Verständnis sich nur bilden und vertiefen kann, wenn man immer wieder zu einem Problem zurückkehren kann.

Wir Lehrer haben die Möglichkeit, nicht nur einzelne Kindern zu sehen, die sich mit Sachen auseinandersetzen, die sie faszinieren, sondern einen allgemeineren Standpunkt einzunehmen. Würde ich Lerninteresse nur an Begriffen wie "Schmetterling", "Biene", "Märchen" oder "Sechseck" (im formalen Sinne) festmachen, bekäme ich notwendigerweise nur einen beschränkten Eindruck davon, was die wirklich tragenden Themen waren, die die Klasse zu einer gemeinsamen Suche verbunden haben, für die jedes Einzelergebnis ein wichtiger, aber nicht isolierter Beitrag war.

Ich habe Probleme damit, unser Curriculum in Begriffe wie "Einheit", selbst "fächerübergreifende Einheit", zu fassen; die Leichtigkeit, mit der wir den Zugriff zu den größeren Themen erlangen, wird weggewaschen, wenn wir unsere (und der Kinder) Aufmerksamkeit darauf richten, dass X (z.B. Kristalle) verschieden von Y (z.B. Insekten) ist. Eine "Einheit" impliziert etwas, ein Ding, das getrennt, für sich allein steht. Eine fächerübergreifende oder integrierte Einheit scheint mir schon ein Widerspruch im Begriff zu sein.

Es braucht Zeit, bis Verbindungen, Gemeinsamkeiten, sichtbar werden. Es dauerte ein Jahr, bis sich diese Geschichte ganz entfalten konnte, und sie ist nicht wirklich zu Ende; nur wird diese Klasse nicht mehr als die gleiche Gruppe zusammen sein können.